l’art pour l’art SCSH35

Tag der Architektur und Ingenieurbaukunst

SCSH35

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Projektinfos

SCSH35

Die Auftraggeber-Familie, eine Hamburger Galeristin und ein Architekt mit zwei kleinen Kindern, wollten den ungenutzten Spitzboden ihres 50er Jahre Einfamilienhauses in Groß-Flottbek sinnfällig in ihr Wohnhaus einbeziehen. Schnell stellte sich heraus, dass der Raum hervorragend als Archiv und Schaulager für die noch junge Galerie zeitgenössischer Kunst der Bauherrin geeignet ist. Der Raum sollte zudem eine eigenständige Ausstrahlung erhalten und zu einer möglichst neutralen Sichtung von Kunst verhelfen.

Treppe

Die Bestandssituation erlaubte den Austausch der historischen Auszugtreppe durch eine „1m2-Raumspartreppe“, die auf der Brüstung der Absturzsicherung der bestehenden Treppe zum Erdgeschoss abgestellt werden konnte. Drei Podeststufen mit Auszügen führen auf Brüstungshöhe in den Treppenraum hinein, dessen Fensteraussparungen diagonale Blickachsen über mehrere Etagen ermöglichen. Die Durchgangsbreite des Flures bleibt an jeder Stelle größer als 1,0m.
Die beleuchteten Stufen kragen leicht in den Luftraum der Haupttreppe, ohne jedoch die Kopfhöhe zu beeinträchtigen.

Basierend auf dem Raumkonzept der 1m2 Prototyptreppe von SCSH02 bewegt man sich auf einer modifizierten Wendeltreppe, deren „imaginäre Spindel“ diagonal im Raum platziert ist. An Stelle der Spindel sind die Stufen an einer dreieckigen Wange befestigt, die dreidimensional im Raum verdreht ist. Auf diese Weise wird das maximale Volumen des Treppenraumes zur Erschließung genutzt und es entstehen keinerlei Resträume.
Die Steigung folgt der Dachschräge und das über der Treppe angeordnete Dachflächenfenster lässt Tageslicht tief in den Treppenraum fallen.

Material und Farbe

Den Raumabschluss zum Spitzboden bildet eine Klappe mit Gasdruckfeder-Unterstützung aus begehbarem, transluzentem Polycarbonat-Wabenkernmaterial. Das daneben angeordnete Oberlicht aus gleichem Material kann zum Transport sperriger Gegenstände herausgenommen werden und ist mit einer zusätzlichen Beleuchtung aus LED-Strips ausgestattet.

Der rote Farbton sämtlicher vertikaler Elemente von Treppe und Brüstung entspricht exakt der ursprünglichen Farbgebung der Brüstung. Im Gegensatz zum Bestand kam hierbei jedoch kein Anstrich zum Einsatz. Alle vertikalen Flächen sind mit 2,5mm starkem rotem Linoleum beschichtet, das nahtlos im Fußbodenbelag des Spitzbodens fortgeführt wird. Die Beschichtung mit Fußbodenlinoleum stellt technisch eine besondere Herausforderung dar, da das Material nach dem notwendigen Entfernen des stabilisierenden Jutegewebes extrem brüchig und empfindlich ist (und für erhöhte Mengen an Ausschuss sorgt).

Das Naturprodukt Linoleum setzt sich durch Geruch und Haptik positiv von anderen Oberflächenbehandlungen ab. Zusätzlich bietet es die Möglichkeit einer expressiven zweifarbigen Fußbodengestaltung. Die in rote und blaue Dreiecke aufgelösten Flächen sind exakt an die Randbedingungen vor Ort angepasst. Vor allem die Eckpunkte von vier aufeinandertreffenden Flächen erfordern einiges handwerkliches Geschick und wurden von der ausführenden Firma mustergültig umgesetzt.

Kaleidoskop

Beide Giebelseiten des Spitzbodens sind mit Einbaumöbeln zur Archivierung ausgestattet. Straßenseitig dominiert ein flächenfüllender, 60cm tiefer Multifunktionsschrank mit 11 Auszügen und zahlreichen Klappenfächern. Eine Aussparung gibt den Blick frei auf das Bestandsfenster, dessen asymmetrisch schräg angeordnete Laibungen komplett verspiegelt sind und das Tageslicht tief in den Raum reflektieren. Die zahlreichen Reflexionsebenen erzeugen kaleidoskopische Spiegelungen, die je nach Blickwinkel das kleine Bestandsfenster als Teil eines verglasten Erkers erscheinen lassen.

Eine weitere Besonderheit stellt der homogen verspiegelte Mittelpfosten des großen, vierteiligen „Quartett“-Dachflächenfensters dar. Die seitlichen Spiegelflächen reflektieren die Glasflächen, sodass der Horizont ohne Unterbrechung durch den Dachsparren „optisch durchläuft“. Das Plattenmaterial, eine Dibond-Spiegelplatte, wurde rückseitig gefast und konnte, dreiseitig gekantet, komplett fugenlos eingebaut werden!

Die gartenseitige Giebelwand ist mit einem Sideboard ausgestattet, das mit einem DIN A0 Planschrank sowie 4 zusätzlichen Auszügen viel Raum für Archivierung und Sichtung bietet.

Licht

Fünf neue Dachflächenfenster mit außenliegendem Sonnenschutz sorgen für Tageslicht im Spitzboden und durch die transluzenten Wabenkernplatten auch im darunterliegenden Flur. Zusätzliche Lichtquellen in den Treppenstufen beleuchten direkt und indirekt den Flur sowie die Bestandstreppe zum Erdgeschoss.

Neben den Aspekten der Ausleuchtung war zur farbechten Begutachtung von Kunst ein hoher Farbwiedergabeindex (>90 Ra) zu beachten. Die wertigen, justier- und dimmbaren Leuchten unter dem Firstbalken wurden daher in enger Zusammenarbeit mit dem Hamburger Lichtplaner Marc Nelson abgestimmt.

Begleitende Maßnahmen

Neben der Neugestaltung sämtlicher Oberflächen des Spitzbodens wurde das Haus v.a. durch eine zusätzliche Innendämmung aus Kalziumsilikatplatten an den Giebelwänden energetisch ertüchtigt, was auch Schimmelbildung hinter Einbaumöbeln verhindert. Die bereits vorhandene Dachdämmung wurde inklusive der Dampfsperre ausgetauscht und drei neue Röhrenradiatoren erwärmen den Raum.

Der ehemals ungenutzte Spitzboden fügt sich nun nicht allein funktional, sondern auch gestalterisch in das stilsicher ausgestattete Einfamilienhaus ein. Die zeitgenössische Farb- und Materialgestaltung ergänzt zusammen mit der modernen Kunstauswahl den bauzeitlichen Charme der gepflegten Nachkriegsvilla.

Sämtliche Tischlerarbeiten inklusive der prototypischen Linoleumverkleidungen wurden in enger Zusammenarbeit von der Tischlerei Innenmöbel Ralf Staben aus Henstedt-Ulzburg ausgeführt. Die Linoleum Fußböden wurden vom Raumstudio Falter aus Norderstedt verlegt.

 

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